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Lehrstuhl für Biogeografie

Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein

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Doktorarbeit

Climate change impacts on habitats and biodiversity: From environmental envelope modelling to nature conservation strategies

Torsten Bittner (02/2009-09/2011)

Betreuer: Carl Beierkuhnlein, Michael Hauhs, Bettina Engelbrecht, Heike Feldhaar

In der vorliegenden Arbeit werden verschiedene Aspekte des erwarteten Klimawandels auf die Umwelt dargestellt, neue wissenschaftliche und methodische Ansätze präsentiert und Handlungsoptionen für den Naturschutz formuliert. Durch den Klimawandel werden völlig neue Herausforderungen auf den Naturschutz zukommen. Eine Literaturrecherche basierend auf 852 Veröffentlichungen (aus den Jahren 2003 bis 2010) beleuchtet die Thematik, stellt die treibenden wissenschaftlichen Kräfte sowie Schwerpunkte und aktuelle Forschungslücken dar. Verbreitungsänderungen von Arten, verschiedene Entwicklungen der Lebensräumen, Änderung von Lebensgemeinschaften und biotischen Interaktionen sowie die allgemeinen Aspekte der Diversität verlangen in einer Zeit der Veränderung eine Weiterentwicklung des Naturschutzes, allerdings bieten sich auch neue Perspektiven. Die potentiellen klimatischen Veränderungen können die Verbreitungen von Tieren und Pflanzen maßgeblich verändern. Räumliche Verbreitungsänderungen durch den rezenten Klimawandel existieren bereits und sind bei vielen Tier- und Pflanzengruppen eindeutig nachgewiesen. Weitere Verbreitungsänderungen sind in der nahen Zukunft vorstellbar. Um solche Veränderungen quantifizieren zu können, werden Tendenzen der Änderungen durch Umwelthüllen-Modellierungen dargestellt. Neben einzelnen Arten sind auch räumliche Veränderungen bei komplexeren Einheiten denkbar. Diese Arbeit fokussiert daher zu einem großen Teil auf die Lebensraumtypen des Anhangs I der europäischen Fauna‑Flora‑Habitat‑Richtlinie (FFH-Richtlinie). Um räumliche Änderungen darzustellen wurden zwei unterschiedliche Ansätze zur Modellierung der Lebensraumtypen entwickelt. Ein indirekter Ansatz, welcher über die Verbreitung der charakteristischen Arten die Lebensraumtypen modelliert und einen direkten, welcher die Verbreitung der Lebensraumtypen selbst benutzt. Diese Ansätze wurden mit fünf Grasland Lebensraumtypen getestet. Bei den hieraus resultierenden Projektionen (von fünf ausgewählten Grasländern) verlieren, unter der Annahme einer fehlenden Ausbreitung, alle fünf Lebensraumtypen zwischen 22% und 93% ihrer aktuellen Verbreitung. In einem uneingeschränkten Ausbreitungsszenario gewinnen alle modellierten Lebensraumtypen zwischen 5% und 100% an klimatisch geeignetem Raum. Beide Ansätze produzieren dabei gute Ergebnisse, jedoch sind für den indirekten Ansatz Datenquellen von Pflanzen-Verbreitungsdaten notwendig von denen momentan nur etwa 20% für ganz Europa existieren. Der direkte Ansatz stellt daher ein probates Mittel dar Lebensraumtypen zu modellieren. Weiterhin wurden alle 127 weiterverbreiteten terrestrischen Lebensraumtypen des Anhangs I der FFH-Richtlinie modelliert und hiermit die Lebensraumtypen-Diversität analysiert. Verschiedene Lebensraumtypen, besonders Moore (Median bis zu 43%), Felslebensräume (Median bis zu 49,5%), Grasland (Median bis zu 50,5%) und teilweise Wälder (Median bis zu 48%), könnten einen Großteil ihres aktuell geeigneten Umweltraums verlieren. Wie vermutet werden kann, verlieren Moore und Felslebensräume auch unter der Annahme der uneingeschränkten Ausbreitung an Fläche. Unter anderem auf Grund ihrer langen Entwicklungszeit und ihrer hoch spezifischen abiotischen Standort Anforderungen. Es gibt klare Gewinner, wie die thermophilen Gebüschformationen sowie einige Wälder und Grasländer welche durch die zukünftigen Klimabedingungen sehr profitieren könnten. Die modellierte Lebensraumtypen-Diversität steigt besonders in den höheren und Gebirgslagen an und insbesondere in der atlantischen biogeografischen Region könnte es zu einem Rückgang kommen. Gemäß der FFH-Richtlinie werden die Lebensraumtypen nach Anhang I in Schutzgebieten erhalten und in einem guten Erhaltungszustand gehalten bzw. soll dieser wiederhergestellt werden. Durch die projizierten Veränderungen könnte das eher statische Schutzgebietskonzept mit einigen Problemen konfrontiert werden, welche insbesondere die Kohärenz des Schutzgebietsnetzes betreffen. Trotz der Schutzgebiete könnte es zu einem Verlust der Schutzgüter kommen. Um die möglichen Probleme und aufkommenden Schwierigkeiten bzgl. der räumlichen Kohärenz von Lebensraumtypen zwischen den Schutzgebieten darzustellen, wurde eine Analyse der räumlichen Kohärenz unter zukünftigen Bedingungen für eine Auswahl von Lebensraumtypen in Deutschland durchgeführt. Eine Kombination aus Umwelthüllen-Modellierung und Methoden der Graphen-Theorie wurden dazu verwendet um die Kohärenz des Schutzgebietsnetzes unter zukünftigen Bedingungen zu bewerten. Das Unvermögen von Arten klimatisch geeigneten Flächen zu erreichen, ist ein aktuell diskutiertes Thema. Der räumliche Maßstab ist daher nicht nur bei der Kohärenz von Schutzgebieten entscheidend sondern auch bei der Frage wie realistisch Modelle in der Vorhersage von neu zu besiedelnden Flächen sind. Die allermeisten Arten besitzen durch ihre Ökologie und Morphologie eine begrenzte Ausbreitungskapazität, weiterhin lässt unsere stark fragmentierte Kulturlandschaft Ausbreitungsbewegungen von Arten nur in einem geringen Maße zu. Um dieser Fragestellung nachzugehen, wurden FFHLibellenarten, von denen Ausbreitungsdaten bekannt sind, betrachtet. Die Arten Coenagrion ornatum, Coenagrion mercuriale und Ophiogomphus cecilia könnten bis zu 68% ihres geeigneten Umweltraumes verlieren, wenn man die artspezifischen Ausbreitungsdistanzen berücksichtigt. Wobei diese Libellen in einem uneingeschränkten Ausbreitungsszenario bis zu 23% an geeignetem Umweltraum dazu gewinnen würden. Weiterhin scheinen unter der Berücksichtigung einer artspezifischen Ausbreitungsdistanz sowohl für Leucorrhinia albifrons und Leucorrhinia caudalis klimatisch geeigneten Raum zu verlieren (bis zu 73%). Im Gegensatz dazu könnte Leucorrhinia pectoralis 37% an geeigneter Fläche dazugewinnen. Die Integration von realistischen Ausbreitungsdistanzen erbrachte neue Erkenntnisse zur Interpretation von Umwelthüllen-Model Ergebnissen. Trotz klimatischer Eignung erreichte keine Art alle potentiell besiedelbaren Flächen. Gerade die ausbreitungsschwachen Arten, die klimatisch profitieren würden, verlieren mit realistischen Ausbreitungsdistanzen stark. Die Naturschutzmaßnahme der Translokation stellt seit mindestens 100 Jahren eine Methodik mit Für und Wieder dar. Der Stellenwert und die Anwendung der Methodik, Arten in Gebieten auszusetzen wo ihre Lebensgrundlagen vorhanden sind, diese jedoch dort noch nicht oder nicht mehr vorkommen, könnten unter den aktuellen und projizierten Veränderungen völlig neue Dimensionen erlangen. Erste anthropogene Umsiedlungen von Insekten im Klimawandel-Kontext wurden bereits durchgeführt. Die damit entstehenden Probleme und Chancen werden dargestellt. Weiterhin werden neue Fragen zu dem Thema der ‚Zieleinheit‘, genetische Variabilität und Aspekte zu pre-adaptierten Unterarten diskutiert. Des Weiteren wird auf ein selektives Translokations-Verfahren hingewiesen, bei dem auf Ökotypen fokussiert werden sollte. Die vorliegende Arbeit stellt gewiss keine erschöpfende Auseinandersetzung des Naturschutzes im Klimawandel dar. Jedoch werden hier einige relevante Thematiken beleuchtet und neuartige Perspektiven aufgezeigt, welche den aktuellen Forschungstand verbessern, innovative Ansätze aufzeigen, Ideen liefern und neue wissenschaftliche Anknüpfungspunkte generieren.

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