Doktorarbeit
Extending the climate envelope: Methodological approaches to integrate ecological prerequisites in species distribution models at large spatial extents
Anja Jaeschke (02/2009-10/2014)
Betreuer: Carl Beierkuhnlein, Michael Hauhs, Christian Laforsch
Die vorliegende Arbeit stellt die potenziellen Auswirkungen des Klimawandels auf die Verbreitung von geschützten Tierarten dar. Dabei werden verschiedene Einflussfaktoren, hier Unsicherheiten in der Datengrundlage, Ausbreitungsdistanzen und biotische Interaktionen, sowie deren Einfluss auf die Projektionen von Verbreitungsmodellen analysiert. Ziel ist es, etablierte Klimahüllenmodelle um ökologische Grundvoraussetzungen zu ergänzen und damit neue Handlungsgrundlagen für den Naturschutz zu schaffen. Die in dieser Arbeit berücksichtigten Arten stehen EU-weit unter Schutz und deren Erhalt ist ein zentrales Ziel, auch oder gerade unter den Bedingungen des rezenten Klimawandels. Verbreitungsänderungen von einzelnen Tier- und Pflanzenarten, in situ Veränderungen von Lebensräumen sowie eine Beeinflussung von Lebensgemeinschaften und deren Interaktionen sind in zunehmendem Maße zu erwarten und können nicht mehr nur mit bestehenden Managementkonzepten kompensiert oder abgemildert werden. Es gibt zunehmend mehr wissenschaftliche Publikationen, die sich mit Auswirkungen des Klimawandels auf Organismen und Ökosysteme befassen. Diese Literatur wurde dahingehend untersucht, einen Eindruck vom bisher erzielten Wissen zu erlangen, aber auch potenzielle Wissenslücken aufzudecken. Die Analyse zeigt ein deutliches Ungleichgewicht bezüglich der räumlichen Verteilung der Untersuchungsgebiete, der untersuchten taxonomischen Gruppen und Ökosysteme sowie der angewandten Untersuchungsmethoden auf. Es wird erwartet, dass klimatische Veränderungen die Verbreitung von Arten maßgeblich beeinflussen. Veränderungen in der Verbreitung von Arten können bereits beobachtet und auf den rezenten Klimawandel zurückgeführt werden. Zur Abschätzung des Ausmaßes zu erwartender Verbreitungsänderungen werden in jüngster Zeit verstärkt Klimahüllenmodelle verwendet, die die räumliche Verbreitung einer Art mit verschiedenen Einflussfaktoren, z.B. klimatischen Bedingungen, in Verbindung setzt. Mit deren Hilfe kann die Auswirkung eines sich ändernden Klimas auf die Verbreitung analysiert werden. Die vorliegende Arbeit nutzt diese Klimahüllenmodelle, um potentielle Verbreitungsänderungen von Tierarten zu ermitteln. Neben dem reinen Vorliegen neuer klimatisch geeigneter Flächen sind die Erreichbarkeit und die Etablierung vor Ort wesentliche bestimmende Faktoren für die Ermittlung der zukünftigen Verbreitung. Die Erreichbarkeit bestimmt sich zum einen aus der artspezifischen Ausbreitungsfähigkeit und zum anderen aus der Durchlässigkeit der Landschaft. Die Etablierung hängt nicht zuletzt von den biotischen Gegebenheiten ab. Klimatische Eignung und Erreichbarkeit einer Fläche nützen einem Individuum wenig, wenn es nicht auch seinen essentiellen Interaktionspartner vorfindet. Bei Libellen erwartet man zunächst ein großes Ausbreitungspotential aufgrund ihrer guten Flugfähigkeit. Dennoch sind bei genauerer Betrachtung längst nicht alle Libellen ausbreitungsstark genug, um mit den projizierten klimatischen Veränderungen Schritt zu halten. Dies gilt z.B. für Kleinlibellen, für die durchaus zukünftig geeignete Flächen entstehen können, diese jedoch aufgrund ihrer geringen Ausbreitungsdistanz und der Entfernung zu bestehenden Vorkommen aus eigener Kraft nicht oder nicht in den nächsten Jahrzehnten erreichen können. Der Integration von beobachteten Ausbreitungsdistanzen in Zukunftsprojektionen sollte daher besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, um pauschale Erwartungen, wie sie auch in dem Ausbreitungsszenario ‚uneingeschränkte Ausbreitung‘ stecken, zu beschränken und realistischere Projektionen hinsichtlich des Potentials einer Art zu ermöglichen. Zudem bedürfen biotische Interaktionen einer zunehmenden Berücksichtigung in der Modellierung. Die Umsetzung scheint jedoch problematisch. Aus diesem Grund entwickelte ich verschiedene Ansätze zur Berücksichtigung von spezifischen Interaktionen in der Modellierung und verglich diese mit einem Modell ohne Interaktionen. Ich konnte zeigen, dass bei Berücksichtigung von biotischen Interaktionen die projizierten geeigneten Flächen geringer und potentielle Verluste der Zielart größer sind als bei der Nichtberücksichtigung des essentiellen Interaktionspartners, und somit die Berücksichtigung von Interaktionspartnern ein vermutlich realistischeres Ergebnis liefert. Im Fall von Lebensraumtypen stellt sich zudem die Frage: Wie kann man komplexe Gebilde in der Modellierung handhaben? Um diese Frage zu beantworten wurden zwei verschiedene Modellierungsansätze entwickelt: der indirekte Ansatz, der die Verbreitung des Lebensraumtyps auf Grundlage der Verbreitung der charakteristischen Pflanzenarten modelliert, und der direkte Ansatz, der die Verbreitung des Lebensraumtyps als Grundlage verwendet. Beide Ansätze wurden mit der Modellierung von fünf Grasland-Lebensraumtypen, definiert durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU, getestet. Beide Ansätze liefern gute Ergebnisse, auch wenn der indirekte Ansatz zumindest durch die Abhängigkeit von verfügbaren Verbreitungsdaten von Pflanzen eingeschränkt wird. Methodische Verbesserungen von Artverbreitungsmodellen sind ein essentieller Schritt, realistischere Modellierungsergebnisse zu erzielen. Nichtsdestotrotz stellt die Kenntnis der ökologischen Ansprüche einer Art, d.h. die Annahmen über die Nische, die Grundlage für alle Modelle dar. Die ökologischen Ansprüche können sich hierbei auf großen räumlichen Skalen (wie z.B. Kontinenten) unterscheiden und auch das aktuelle ökologische Wissen ist meist auf wenige gut-untersuchte Arten beschränkt. Daher ist es auch in Zeiten voranschreitenden Klimawandels notwendig und angemessen, Monitoring-Programme und experimentelle Untersuchungen durchzuführen, um weitere Kenntnisse zur Nische einer Art zu erlangen. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt in der Abschätzung von potenziellen Verbreitungsänderungen von geschützten Tierarten aufgrund klimatischer Veränderungen. Sie berücksichtigt dabei nicht nur den vermuteten Zusammenhang zwischen klimatischen Gegebenheiten und der aktuellen Verbreitung, sondern integriert weitere verbreitungsbestimmende Aspekte. Dazu wurden verschiedene Ansätze entwickelt und verglichen. Sie leistet damit einen Beitrag zu einem umfassenderen Verständnis der verbreitungsbeeinflussenden Umweltvariablen im Zuge des Klimawandels und damit zu einer erweiterten Handlungsgrundlage für Naturschutzmaßnahmen.